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Werkstattbericht Civic Coding
Erkenntnisse aus der Beratung zu Open Data, Open Source und kommunalen Netzwerken

Technologien und eine KI, die die Maximierung des gesellschaftlichen und ökologischen Mehrwerts zum Ziel haben, benötigen gemeinwohlorientierte Handlungsrahmen und Orientierungshilfen. Genau hier setzt die Initiative Civic Coding – Innovationsnetz KI für das Gemeinwohl an. Sie schafft Rahmenbedingungen und bietet Lösungen, um den Einsatz von KI gezielt für soziale, ökologische und demokratische Zwecke voranzutreiben.

Über die zersetzenden Kräfte von KI, die den Gemeinwohlaspekt nicht im Blick hat, lesen wir mittlerweile jeden Tag. Sie sind Teil unserer Technews und dank der Arbeit von gemeinnützigen Organisationen wie Superrr, Tactical Tech, Algorithm Watch oder Onlinepublikationen wie Republik sind die Auswirkungen auch bestens dokumentiert

Nun sind die Herausforderungen, vor der wir stehen, "to die for” - buchstäblich. Der Klimawandel schreitet voran, Demokratien geraten allmählich aus der Mode und eine gerechte Wirtschaftsordnung will sich einfach nicht durchsetzen - nicht nur sind diese Entwicklungen eng miteinander verwoben, sie geschehen auch alle rasend schnell und gleichzeitig.

Technologieoptimisten sehen dabei die Technologie als Allheilmittel. Gibt es ein Probleme, so lässt es damit lösen. Häufig wirkt das so wie technologiezentrierte Erlösungsphantasien und dem unreflektierten Glauben, dass man über die meisten Herausforderungen einen digitalen Zuckerguss ziehen kann.

Demgegenüber stehen die Technologierealisten, also die Mahner und Mahnerinnen. Zweifellos hat die Digitalisierung Fortschritt und Innovation gebracht. Das steht außer Frage. Gleichzeitig aber erleben wir, wie vor unseren Augen demokratische Ordnungen mit der Hilfe von Digitalisierung und Algorithmen in Echtzeit zerbröselt werden. Skepsis und eine konstruktive Furcht sind also durchaus angebracht.

 

Wie genau muss also eine KI designt sein, um echte soziale und ökologische Veränderungen zu bewerkstelligen? Nicht nur muss sie genau dort wirken, wo sie wirken soll - sie darf auch keine weiteren Risse verursachen. Es braucht also einen soliden Gegenentwurf zu konventionell entwickelten KI-Lösungen. 


Dieser Gegenentwurf stellt Prinzipien wie Inklusion, Fairness, Gleichheit, der Schutz der Privatsphäre und ein gleichberechtigter Zugang in den Mittelpunkt. Der offene Umgang mit Daten und ihre allgemeine Zugänglichkeit sind dabei zentrale Aspekte und der Datenschutz wird als Innovationstreiber betrachtet.  Machtverhältnisse und Kontrollstrukturen werden durch Open-Source-Ansätze und demokratische Prozesse dezentralisiert, um mehr Teilhabe und Transparenz zu schaffen. Das wiederum verlangt nach Regulierungen, die gleichzeitig schützen und Innovation fördern.

Mit Civic Coding möchten die Bundesministerien also eine Bedarfslücke schließen. Denn hier werden Rahmenbedingungen und Lösungen geschaffen, die den Einsatz von KI für soziale, ökologische und demokratische Zwecke fördern. Im Beratungspool von Zukunft Zwei habe ich fünf Civic-Coding-Projekte zu den Themen Open Data, Open Source und kommunale Netzwerkbildung beraten und unterstützt.

 

DorfApp

Was: Die “Mein DorfApp” will ehrenamtliches Engagement in der Region sichtbar machen und auch Bürger:innen-Services auf Basis von Open Data verbessern oder neu anbieten. U.a. soll der Müllabholungsplan, der bereits bei einem anderen Anbieter genutzt wird, als Datensatz integriert und Abonnenten per Push Nachrichten etc. an die nächsten Müllabholungen erinnert werden. 

Fragen und Bedarfe: Dieser Datensatz ist bislang noch nicht als Open Data verfügbar. Wie lassen sich diese Daten beschaffen, die der Landkreis problemlos als Open Data bereitstellen könnte – insbesondere in Regionen, in denen die Open-Data-Entwicklung in der öffentlichen Verwaltung noch nicht weit fortgeschritten ist und Anfragen oft eher als Störfaktor denn als Chance für Innovation wahrgenommen werden?

Beratung: 

  • Übersicht verschaffen über das Thema Open Data im Kontext des Informationsfreiheitsgesetz (IFG)

  • Strategieentwicklung und die Entwicklung eines Leitfadens für das Herantreten an die Entscheidungsträger:innen

  • Entwicklung geeigneter Austauschformate und Workshops, um Entscheidungsträger:innen sowie datenskeptische Personen mit den Vorteilen von Open Data vertraut zu machen und deren Mehrwert für Kreis und Kommunen klar zu vermitteln. Und wie Open Data eine Vorstufe zur gemeinwohlorientierten KI sein kann. 
     

Rentennavi
Was: Die Rentennavi ist eine von Woldemar Metzler entwickelte KI-Anwendung, die eine Verständnislücke im komplexen Rentensystem schließen soll. Die Idee entstand, als er seinem Vater bei der Rentenantragstellung half. Viele Informationsangebote sind weder benutzerfreundlich noch in einfacher Sprache gehalten, was vor allem Menschen mit geringen Lese- und Schreibkenntnissen vor große Hürden stellt.  Bereits existierende Chatbots liefern zwar akzeptable Antworten auf allgemeine Fragen, versagen jedoch oft bei spezifischen Anliegen. Mithilfe von Large Language Modellen (LLMs) will Metzler diese Lücke schließen. Ergänzt durch zusätzliche Daten und eine angepasste Architektur sollen die Antworten individueller und nutzerfreundlicher werden. Das Ziel ist eine leicht verständliche Unterstützung, die Menschen mehr Eigenständigkeit im Umgang mit Behördensprache ermöglicht.
Metzlers Recherchen zeigen außerdem, dass die meisten Fragen in Rentenforen von Frauen stammen, die oft nicht nur ihre eigenen Ansprüche klären, sondern auch für Angehörige wie Eltern oder Partner tätig werden. Das macht einmal mehr die Reichweite der Care Work sichtbar, die von Frauen übernommen wird - nicht nur physische Versorgungsarbeit, sondern auch Unterstützung beim Beantragen von Versorgungsleistungen. Diese Erkenntnisse will Metzler in das Design der Rentenavi einfließen lassen.

Bedarfe und Fragen:

Welche Daten aus Open-Data-Beständen können als Trainingsdaten einfließen? 

Mit welchen Methoden lassen sich Foren scannen, damit daraus eine quantitative Datengrundlage entsteht? 

Wie muss eine Stellenbeschreibung für eine Entwicklerin formuliert werden, damit sie auch Entwicklerinnen erreicht?
Beratung:

  • Beratung zur Auswahl und Nutzung von Open-Data-Beständen als Trainingsdaten für KI-Modelle. 

  • Recherche zu Textmining-Ansätze, Sentiment-Analysen und thematischer Clusterbildung

  • Beratung bei der Formulierung inklusiver und zielgruppengerechter Stellenausschreibungen.
     

AI CAN

Was: AI CAN steht für AI Citizen Science Aqua Network. Mit AI CAN soll ein Echtzeitdatennetz zur besseren Überwachung der Wasserqualität geschaffen werden. Auffälligkeiten können schneller erkannt und damit Handlungsbedarf früher eingeleitet werden. Mithilfe von Sensor-Boxen werden Wasserqualitätsdaten durch Bürger*inneninitiativen, NGOs , Umweltverbände und andere Akteur*innen gesammelt und mithilfe einer KI -Anwendung ausgewertet. Dafür wird auch auf das bewährte Konzept von Citizen Science zurückgegriffen. Anlass für die Initiative war das Oder-Fischsterben im Sommer 2022. Zwischen Juli und August 2022 wurden immer mehr tote Fische in der Oder gemeldet. Nach Behördeninformationen verendeten etwa 360 Tonnen Fisch, ungefähr die Hälfte des Bestandes in der Oder und ihrer Zuflüsse. Als  Ursache wird mittlerweile eine Algenblüte angesehen. Das Wachstum dieser Alge wurde durch die Einleitung salzhaltiger Industrieabwässer auf der polnischen Seite des Flusses begünstigt. 
 

Bedarfe und Fragen:

Mit dem Initiator der Initiative wurden folgende Fragen und Bedarfe identifiziert: 

Wie kann eine Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Forschenden auf Augenhöhe entstehen? 

Welche Möglichkeiten gibt es, Datenmanagement und Projektpartnerschaften auf Basis eines Open-Source-Modells zu gestalten? 

Welche Austauschformate sind geeignet, um mehr Menschen zur Mitwirkung zu motivieren und lokale Behörden als Datenadvokaten zu gewinnen? 

Was gehört in einen Elevator Pitch, um mit dem Projekt mögliche Unterstützer:innen und potentielle Projektpartner auf dem Digitalgipfel 2024 zu überzeugen?

​Beratung: 

  • Diskussion zu Ansätzen und Methoden, um eine partnerschaftliche und gleichberechtigte Zusammenarbeit zu fördern.

  • Beratung zu Strategien für transparentes Datenmanagement und die Umsetzung erfolgreicher Open-Source-Kooperationen.

  • Brainstorming und Planung innovativer Formate, die sowohl Engagement in der Zivilgesellschaft fördern als auch Behörden für die Unterstützung von Open Data sensibilisieren.

  • Unterstützung bei der Erstellung und Feinabstimmung eines wirkungsvollen Kurzvortrags für die Präsentation auf dem Digitalgipfel im Oktober


DeliberAIde

Was: Das Team von DeliberAIde entwickelt eine End-to-End-Plattform für persönliche, Online- und hybride deliberative Beteiligungsprozesse. Die Plattform bietet KI-Unterstützung bei der Prozessdefinition, anonymer Transkription und Dokumentation von Beratungen, der Zusammenfassung und Analyse von Diskussionen sowie der abschließenden Berichterstattung. Hierbei werden deliberative KI-Technologien genutzt, um verschiedene Datenarten wie Text, Sprache oder Bilder zu verarbeiten.
Bedarfe und Fragen: Gewünscht wurde eine allgemeine Einführung zu Open Data, einschließlich Daten, Portale, Standards, Metadaten und Lizenzen. Zudem wurden Überlegungen angestellt, wie Open Source genutzt werden kann, ohne dass große Techunternehmen das Modell kommerzialisieren. Also auch die Frage, wie die bewusste Entscheidung für eine Open-Source-Architektur zur Entwicklung von Software-as-a-Service-Lösungen beitragen kann.
Beratung:

  • Beratung zu Open-Source-Lizenzmodellen

  • Einführung zu Open Data und Präsentation der Best-Practice-Akteure im öffentlichen Sektor und bei den zivilgesellschaften Organisationen
     

Social Knowledge Graph

Was: Der Social Knowledge Graph soll gesellschaftliches Wissen mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) und Open Data in leicht verständlicher Sprache zugänglich machen. Ziel ist es, Informationen barrierefrei, vernetzt und wiederverwendbar bereitzustellen. Dabei liegt der Fokus auf Themen wie Verwaltungen, Pflegeeinrichtungen sowie Arbeits- und Sozialpolitik. Kern des Projekts ist die Kombination eines Wissensgraphen für regionale Informationen mit einer KI-gestützten Übersetzung in Leichtes Deutsch, um eine möglichst breite Zugänglichkeit und Verständlichkeit zu gewährleisten.

Bedarfe und Fragen: Die Macher hinter dem Social Knowledge Graph sind bereits seit mehreren Jahren am Markt. Da mit der Entwicklung des Social Knowledge Graph die Erschließung des öffentlichen Sektors interessant wird, wünschte sich das Projektteam  Unterstützung bei der Vernetzung mit Akteuren, Entscheidungsträger:innen und Innovatoren im kommunalen Sektor.  

Beratung:

  • Stakeholder-Mapping und Identifikation potenzieller Kooperationspartner sowie gezielte Ansprache und Vernetzung

  • Erarbeitung einer kompakten Kommunikations-Strategie zur effektiven Bewerbung des Messeauftritts auf der Smart Country Convention
     

Mein Fazit der Beratung:

1. Jedes Projekt brachte andere Fragestellungen mit sich. Das machte dieses Beratungsmandat nicht nur abwechslungsreich, sondern zeigte auch die Komplexität, die die Entwicklung von gemeinwohlorientierten Technologien zu bewerkstelligen hat. Ob innovative Ansätze im Klimaschutz, stärkere Vernetzung in ländlichen Gebieten oder eine verbesserte Vermittlung von Versorgungsleistungen - um diese Komplexität  zu durchdringen, braucht es ein ernstgemeintes Zusammenspiel von Politik, Policy-Richtlinien und Finanzierungsrahmen. 

 

2. Die vorgestellten Organisationen und Initiativen werden von einem starken Gefühl der sozialen oder ökologischen Dringlichkeit geleitet und agieren dabei an der Schnittstelle von Gemeinnützigkeit und Sozialunternehmen. Doch es fehlen maßgeschneiderte Finanzierungsmöglichkeiten, die wirtschaftliches Handeln bei gleichzeitiger Schaffung gesellschaftlichen Mehrwerts ermöglichen. Nicht jede Initiative möchte als Verein fungieren.  Es braucht daher gezielte Förder- und Finanzierungssysteme, darunter hybride Finanzierungsmodelle sowie rechtliche und steuerliche Anpassungen. 
 

3. Ein weiterer Aspekt, der auffiel ist, dass die intensiven und leidenschaftlichen Diskussionen in der Berliner Techszene oft an den Stadt- und Landesgrenzen verhallen. Ihre Reichweite in andere Bundesländer und Regionen ist deutlich begrenzter als häufig angenommen. Deshalb braucht es Orientierungsangebote zu gemeinwohlorientierter KI, die nicht nur aus Berlin heraus initiiert werden, sondern auch in anderen Bundesländern. Initiativen wie Civic Coding können auch in den Bundesländern kopiert werden und so so zu Anlaufstellen für gemeinwohlorientierte KI auch außerhalb der Hauptstadt werden.

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